Warum eine Zweitmeinung insbesondere bei Krebsdiagnosen sinnvoll ist

Rund ein Drittel der Krebspatienten wünscht sich, bei der Therapieplanung eine zweite ärztliche Einschätzung einzuholen – das Zweitmeinungsprojekt Hodentumor vereinfacht dies seit über zehn Jahren.

Die Krebsforschung schreitet weltweit in großen Schritten voran. Seriösen Schätzungen zufolge verdoppelt sich das Wissen über Diagnose und Behandlung von Krebserkrankungen derzeit etwa alle zwei Jahre. Die Bandbreite der Methoden und Verfahren ist entsprechend gewachsen, mittlerweile gibt es eine kaum noch zu überblickende Vielfalt an diagnostischen und therapeutischen Ansätzen.

Folglich kann es hilfreich sein, gerade bei weniger häufigen Krebsformen – mit denen ein nicht darauf spezialisierter Mediziner dementsprechend selten umgeht – das Know-how mehrerer Fachärzte zu bündeln. Laut einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung wünscht sich rund ein Drittel der Krebspatienten, vor Beginn der Behandlung eine qualifizierte Zweitmeinung einzuholen. Obwohl viele Krankenkassen diesen Wunsch unterstützen, steht ein institutionalisiertes Zweitmeinungsverfahren jedoch in Deutschland noch am Anfang – in diesem Jahr startete es für zwei Operationen (Gebärmutterentfernung und Gaumen-/Rachenmandeln-OPs).

Für Hodenkrebs hat die Deutsche Gesellschaft für Urologie e. V. (DGU) indes bereits vor über zehn Jahren ein kostenfreies Zweitmeinungs-Onlineportal aufgesetzt. „Wir wussten, dass die Versorgungsqualität bei Hodentumoren, die eine seltene Tumorentität darstellen, regional sehr unterschiedlich ist. Die Erfahrung mit fortgeschrittenen Tumoren ist häufig limitiert. Andererseits war es politisch nicht gewollt, diese Tumoren an wenigen Zentren zu behandeln“, umreißt Projektleiter Prof. Dr. Mark Schrader die damalige Ausgangssituation. Er betont, dass in den zehn Jahren jede fünfte der mehr als 6.000 über das Portal eingeholten Zweitmeinungen zu einer Optimierung der Behandlungsplanung geführt habe. Sukzessive soll das Netzwerk nun auch für weitere urologische Erkrankungen geöffnet werden, zunächst für den sehr seltenen Peniskrebs.

Neue Behandlungsleitlinie für Hodenkrebs
Keimzelltumoren des Hodens werden pro Jahr in Deutschland bei etwa 4.000 Patienten erstmals diagnostiziert. Keine andere Krebsart tritt bei 20- bis 44-jährigen Männern häufiger auf. Die Heilungschancen sind indes relativ gut: „Nur bei wenigen Krebserkrankungen gibt es eine vergleichbar hohe Überlebenswahrscheinlichkeit wie bei Hodenkrebs. Zehn Jahre nach der Diagnose leben noch 19 von 20 betroffenen Patienten“, erklärt der in Berlin-Mitte praktizierende Urologe Dr. Gert Heine.

Um diese guten Aussichten für die Patienten noch weiter zu verbessern, hat die DGU gemeinsam mit mehreren weiteren Fachgesellschaften eine neue nationale Behandlungsleitlinie verfasst. Die detaillierte und entsprechend umfangreiche „S3-Leitlinie für Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Keimzelltumoren des Hodens“ ist die erste ihrer Art und bündelt das aktuelle Wissen auf diesem Gebiet. „Die S3-Leitlinie soll die Prognose für alle Patienten verbessern und Über- sowie Untertherapie vermeiden“, erläutert die Leitlinienkoordinatorin Prof. Dr. Sabine Kliesch. Vergleichbare evidenzbasierte Handlungsempfehlungen gibt es bereits für Prostata-, Nierenzell- und Harnblasenkarzinome.